Kreisverband mit neuer Sprecherin und Direktkandidaten für die Bundestagswahl – Lydia Engelmann und Nino Haustein im Gespräch


Am Samstag, dem 20. März 2021, votierten die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge für die neue Kreissprecherin und den Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2021. Die anschließende Briefwahl bestätigte Lydia Engelmann und Nino Haustein. Beide trafen sich, um sich über Politisches und Privates zu unterhalten.

Lydia Engelmann: Jetzt ist es raus, die Briefwahl hat uns bestätigt.

Nino Haustein: Ja, es war ganz schön spannend – und die nächste Zeit wird es auch noch!

Lydia: Auf jeden Fall! Ehrenamt, vor allem politisches, ist immer spannend. Wie bist du eigentlich zu den Grünen gekommen?

Nino: Puh, das liegt schon etwas zurück. Eigentlich war ich schon immer den Grünen nahe. Seit ich mich für politische und gesellschaftliche Themen begeistern kann, waren mir Naturschutz, Demokratie, Vielfalt und Teilhabe wichtig.

Lydia: Klassische Grünen-Themen also.

Nino: Genau! Ausschlag dafür, selbst aktiv zu werden, waren dann viele Ereignisse hintereinander. Zuerst waren da PEGIDA im Jahr 2014 und die Situation der Geflüchteten 2015. Mich hat es schockiert, wie viele Menschen sich von menschenfeindlichen Hetzreden bewegen ließen.

Dann kam der Brexit und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Das hat mir gezeigt, dass es für mich nicht genug ist, nur für etwas zu sein, sondern auch etwas dafür zu tun. Und dann bin ich 2016 bei Bündnis 90/Die Grünen eingetreten.

Wie war das bei dir?

Lydia: Grün war ich irgendwie schon immer (lacht). Erst hinter den Ohren und später dann auch politisch. Zur Bundestagswahl 2009 durfte ich das erste Mal wählen und hab damals schon Grün gewählt. Die anderen Parteien waren mir immer zu weit weg von dem, was ich als junger Mensch gewollt hab.

Naja, und die Jahre 2014 bis 2016 waren auch für mich hier in Dresden und Freital nicht leicht zu ertragen. Durch das Engagement von Ines Kummer und Jürgen Kassek hier vor Ort bin ich ein Stück näher an Grün herangerückt, aber eingetreten bin ich erst 2018. Du bist daran ja auch nicht ganz unschuldig…

Nino: Stimmt, wir haben uns in der Zeit viel ausgetauscht. Du bist ja auch schon Mitglied des Freitaler Stadtrats und des Kreistags im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Was sind die Momente, an die du dich in diesen beiden Ehrenämtern am meisten erinnern kannst?

Lydia: Na der Wahlabend war schon spannend. Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt ein Mandat erringe, geschweige denn alle beide. Die Tage danach habe ich mich wie auf Wolken gefühlt. Aber Politik ist natürlich mehr als Wahlsiege. Die Arbeit kommt danach. Die konstituierenden Sitzungen waren jeweils auch sehr aufregend. Oder das erste Mal im Ratssaal etwas sagen. Als Lehrerin bin ich das Reden vor Publikum ja gewöhnt, aber das war irgendwie eine andere Hausnummer.

Nino: Und jetzt als Kreissprecherin – wie geht es dir damit?

Lydia: Ich freue mich. Vor allem auf den kommenden Wahlkampf. Dich zu unterstützen wird meine erste große Aufgabe als Sprecherin. Aber natürlich ist das auch Arbeit. Politik im Ehrenamt ist nie nur Spaß. Man muss sich bewusst machen, dass man dafür vor allem Freizeit opfert. Die Work-Life-Balance muss man da wirklich gut im Griff haben. Das lerne ich gerade.

Nino: Welche Dinge willst du als neue Sprecherin direkt angehen?

Lydia: Unsere Öffentlichkeitsarbeit. Mich hat das, als ich noch nicht Mitglied war, immer gestört, dass Grün hier nie wirklich sichtbar war – außer zu den Wahlen. Das hat sich ja Gott sei Dank schon in den vergangenen Jahren geändert. Trotzdem müssen wir im Kreis präsenter sein. Das zu organisieren wird aber sicher nicht leicht.

Außerdem würde ich gern stärker mit anderen Kreisverbänden zusammenarbeiten und auch die Kontakte, die wir ins Bundesgebiet zu anderen Kreisverbänden haben, stärken. Gegenseitige Wahlkampfhilfe ist da immer eine schöne Möglichkeit.

Was ist dir besonders wichtig?

Nino: Besonders wichtig sind mir eigentlich zwei Themen: Nachhaltigkeit und Teilhabe. Das klingt etwas sperrig, aber ich denke, dass von den beiden viele Projekte ausgehen.

Lydia: Kannst du ein paar Beispiele geben?

Nino: Na klar! Beim Thema Nachhaltigkeit denkt man ja zuerst immer an Umwelt und Natur. Aktuell wird gerade sehr viel das Thema Klimaschutz diskutiert. Angesichts des Klimawandels – man kann sogar von Klimakrise sprechen – ist konsequenter Klimaschutz und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ein wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit.

Hier im Landkreis geht es da beispielsweise um Landwirtschaft, die nicht nur den Klimawandel nicht weiter verstärken soll, sondern auch gegen die Folgen der Klimakrise sicher gemacht wird. Gerade die Landwirte erlebten ja gerade in den letzten Jahren, wie sehr die Ernte unter trockenen Böden leidet.

Aber Nachhaltigkeit bedeutet eben nicht nur Klimaschutz, sondern zum Beispiel auch Artenvielfalt. Unsere Art, Agrarpolitik zu machen, drängt Landwirt*innen ja gerade dazu, möglichst viel Masse auf möglichst viel Fläche und möglichst einheitlich anzubauen. Das verstärkt das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten. Feldhamster und Feldhase sind zum Beispiel vom Aussterben bedroht, da es zu viele Monokulturen auf den Feldern gibt oder die klassischen Feldränder weniger geworden sind.

Auch viele heimische Pflanzen sind aktuell auf der Roten Liste zu finden. Hier muss man also Klimaschutz und Artenvielfalt zusammen denken und die Agrarsubventionen entsprechend ändern.

Lydia: Und wo ist da jetzt die Teilhabe?

Nino: Naja, Teilhabe heißt ja, dass man mitreden und einen Prozess mitgestalten kann. Für den Ausbau der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft heißt das, dass die Landwirt*innen stärker eingebunden werden müssen in diesen Prozess. Ich denke, dass viele Landwirt*innen generell bereit sind, nachhaltiger zu arbeiten, aber auch aufgrund der aktuellen Agrarpolitik und den niedrigen Preisen am Markt gar nicht so nachhaltig sein können, wie sie es müssten und selbst wollen.

Und dann gibt es natürlich auch bäuerliche Betriebe, die einen anderen Weg gehen – wie solidarische Landwirtschaft oder Biohöfe. Es braucht also mehr Beratung, mehr Erfahrungsaustausch mit ihnen sowie mit Biolog*innen und Naturschützer*innen.

Jetzt habe ich schon viel erzählt. Mich würde von dir noch interessieren, was du über die Aussage denkst, wir Grüne wären nur eine Ein-Themen-Partei und es hieße immer nur „Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz!“ bei uns.

Lydia: Was? Ich dachte wir wären die Kifferpartei? (lacht) Spaß beiseite. Natürlich ist Klima- und Umweltschutz unser vorrangiges Thema. Der Klimawandel ist nicht mehr zu leugnen und wenn wir das nicht in Angriff nehmen, sieht es für alle anderen Themen, die wir natürlich auch haben, düster aus.

Nichts desto trotz haben wir natürlich auch noch viele andere Themen, die kann ich gar nicht alle aufzählen. Hier lohnt sich nochmal der Blick ins neue Wahlprogramm. Als Lehrerin habe ich aber meinen Fokus auf den Aspekten der sozialen Gerechtigkeit und die Stärkung von Kindern gelegt. Eine wichtige Forderung aus unserem Wahlprogramm ist, dass Kinderrechte, ähnlich derer in der UN-Kinderrechtskonvention ins Grundgesetz kommen. Das fände ich einfach großartig, da Kinder besonderen Schutz genießen müssen. Darüber hinaus wollen wir uns für eine Kindergrundsicherung einsetzen um Familien zu stärken. Ich glaube, gerade in der Corona-Krise haben viele Menschen gemerkt, wie wichtig das wäre um allen Kindern gleichermaßen die gleiche Möglichkeit auf Bildung und Teilhabe zu garantieren. Naja und Bildung in jeglicher Form ist für mich natürlich ein weiteres Augenmerk. Ich finde ja, dass unser Wahlprogramm viele starke Forderungen enthält, die Helfen würden Kinder und Jugendliche aus der Corona-Krise herauszuholen. Neben dem Recht auf einen Ganztagesplatz für Grundschulkinder oder einem Corona-Rettungsschirm für Kinder, ist auch die Forderung nach Bildungszusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen wirklich notwendig. Die Corona-Krise zeigt ja, dass Bildungsförderalismus (du weißt ja Bildung ist Ländersache) nicht immer zum Besten sein kann. Eine Bildungszusammenarbeit muss möglich sein. Das soll aber nur eine Auswahl der Themen sein. Bevor ich hier weiter weitschweifig meine Highlights aus dem Wahlprogramm erkläre, erzähl mir lieber wofür du dich ganz konkret im Bundestag einsetzen willst?

Nino: Da gibt es so einiges, wofür ich mich stark machen würde – da reicht der Arbeitstag gar nicht aus! Mir geht es vor allem darum, die Menschen in den ländlichen Regionen zu stärken, die ländlichen Räume zu fördern und der „großen“ Politik bewusst zu machen, dass bei allen Zukunftsthemen wir hier in den Dörfern, Gemeinden und kleinen Städten eine wichtige Rolle spielen!

Lydia: Das klingt jetzt schon wie eine Sonntagsrede!

Nino: (lacht) Ja, das stimmt, da kann man fast Bingo spielen, so oft wie „ländliche Räume“ gesagt wird. Aber was heißt das eigentlich konkret? Für mich heißt es, dass wir erstmal anerkennen müssen, dass ganz viele Zukunftspläne wie Energiewende oder auch die schon angesprochene Agrarwende ja auf dem Lande umgesetzt werden.

So sind es dann die Menschen zwischen Freital und Altenberg, zwischen Sebnitz und Klingenberg, die Windkraftanlagen oder Biomasseanlagen in ihrer Umgebung haben werden – nicht die Menschen in Dresden oder Leipzig. Und da darf es zum einen nicht so sein, dass die Menschen in den Dörfern und kleinen Städten zu Dienstleister*innen für die großen Städte werden – so nach dem Motto „Stadt fordert, Land liefert“.

Die Menschen hier im Landkreis und in anderen ländlichen Regionen müssen da ganz klar auf Augenhöhe einbezogen werden – durch Bürgerinnen- und Bürgerräte, bei der Planung von Windrädern oder durch die Beteiligung an den Gewinnen von Biomasse- und Solaranlagen.

Einige Dörfer und Gemeinden haben da ja bereits mutige Projekte in Gang gesetzt, wenn ich an die Bürgerenergie Drebach im Erzgebirge oder die Gemeinde Nebelschütz in der Lausitz denke. Die Menschen dort haben Anteil an den Projekten und nehmen auch selbst etwas davon mit. Und die Menschen in den Gemeinden werden dadurch auch selbstbewusster und selbst zu den Gestaltenden, statt nur irgendwelche Maßnahmen vorgesetzt zu bekommen.

Über welche Themen möchtest du als Kreissprecherin eigentlich stärker mit den Menschen hier im Landkreis ins Gespräch kommen?

Lydia: Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz! Vor allen Dingen. Bestimmte grüne Forderungen wie Energie- oder Mobilitätswende benötigen im ländlichen Raum innovative Ideen und Konzepte. Aber du hast ja vorhin schon gehört: Ich brenne für Bildung, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, feministische Themen aber auch für Tierschutz. Da diskutiere ich leidenschaftlich gern drüber.

Nino: Auf jeden Fall! Wir denken in Deutschland oft, dass wir besonders fortschrittlich wären, was Gleichberechtigung angeht – dabei gibt es Länder wie Schweden oder Island, die uns wirklich zeigen, wie echte Gleichberechtigung aussieht.
Und ich finde auch, dass wir oft beim Thema Gleichstellung vergessen, dass Frauen ja stark von Altersarmut betroffen sind. Besonders, wenn sie alleinerziehend sind oder im Niedriglohnbereich arbeiten müssen. Oder beides zusammenkommt.

Lydia: Du warst ja auch mal ehrenamtlich in der Vielfaltspädagogik tätig. Was bedeutet Vielfalt in der Politik für dich?

Nino: Puh, jetzt muss ich kurz den Philosophen raushängen lassen (lacht). Zuerst einmal heißt Vielfalt für mich, zu verstehen, dass jeder Mensch ein Individuum ist und dabei aufgrund seiner Eigenschaften sich von jedem anderen Menschen unterscheidet.

Dabei gibt es Eigenschaften, wie zum Beispiel Geschlecht, Hautfarbe oder körperlicher Zustand, die den einzelnen Menschen im Alltag „von Vorteil“ sind, oder aber auch vom Umfeld zum Nachteil gemacht werden können. Dabei muss die Gesellschaft aber eigentlich als Ziel haben, die Einzigartigkeit jedes Menschen anzuerkennen und ihn zu unterstützen.

Lydia: Ja, das klingt schon sehr philosophisch! Was heißt das aber konkret für die Politik oder den Alltag?

Nino: Letztlich geht es darum, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen, ihre Erfahrungen und Lebenswelten kennenlernen und Vorurteile abbauen. Für die Menschen, die Diskriminierung erleben – egal ob aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder einer möglichen Erkrankung – heißt es immer, dass man sie ermutigt und empowert. Das heißt, es müssen mehr Beratungsstellen und Anlaufpunkte geschaffen werden. Dazu kommt, dass Menschen für sich selbst sprechen wollen. Wir brauchen also mehr Möglichkeiten, bei denen Menschen mit Diskriminierungserfahrungen diese auch teilen können. Vielen Ostdeutschen ist es ja auch oft gar nicht bewusst, dass sie ähnliche Erfahrungen machen wie nichtweiße oder auch muslimische Deutsche – so zumindest Studien aus der Sozialforschung. Hier kann ein Austausch auch Verständnis schaffen.

Oft geht es ja schon bei bestimmten Wörtern los, die Menschen benutzen. Gerade, wenn wir Weiße das N-Wort benutzen, um über People of Colour zu sprechen, ist das sehr problematisch.

Lydia: Wie würdest du damit umgehen, wenn Weiße diese Worte nutzen?

Nino: Ja, das ist schwierig. Besonders unter den Älteren ist es oft gar nicht als Beleidigung gemeint, sondern nach dem Motto: „Das habe ich schon immer so gesagt.“ Hier würde ich erklären, dass das Wort eben einen verletzenden Hintergrund hat und dass sich viele People of Colour dadurch beleidigt fühlen. Letztlich will ja niemand beleidigt werden.

Und dann würde ich zugleich den Empowerment-Ansatz verfolgen und jungen People of Colour das Selbstvertrauen geben, solche Situationen auch stark durchzustehen. Ähnlich erlebe ich es ja selbst, wenn Leute das Schw-Wort für schwule Männer in meinem Umfeld nutzen oder mit Vorurteilen daherkommen. Dann versuche ich, gelassen aufzuklären. Natürlich muss ich manchmal auch die Grenzen aufzeigen – aber das geht nur mit gewissem Grad an Selbstbewusstsein.

Lydia: Das würde ich so unterstreichen! Und noch ergänzen, dass wir mehr, und vor allem im Wahlkampf, darauf achten sollten, dass der politische Diskurs nicht zum Stammtisch verkommt. Lösungsorientiert zu diskutieren, ohne sich wie im Sandkasten zu beschimpfen, muss wieder zum guten Ton gehören.

Nino: Da stimme ich dir zu! Früher hätte man wohl einfach Anstand dazu gesagt (lacht). Vielleicht ist das ein gutes Schlusswort. Danke dir für das Gespräch! Ich freue mich auch auf die kommenden Wochen und bin gespannt auf die Begegnungen mit den Menschen im Landkreis!